Wien-Wahl 2015: Es kann weiter gehen…

1) Wer HC nicht mag, hat Grund sich zu freuen!
Auch wenn die SPÖ im Vergleich zu den letzten Gemeinderatswahlen 2010 knapp fünf Prozentpunkte verloren hat und die FPÖ fünf Prozent gewonnen hat, täuschen manchmal Gefühle nicht. Während im Wahlzelt der SPÖ in der Löwelstraße die Menschen zur Internationale und zu Poprock feierten, war die Stimmung bei der FPÖ eher verhalten. Warum ist manchmal ein Verlust ein Sieg und ein Zugewinn eine Niederlage? Gefühle haben auch immer etwas mit Erwartungshaltungen zu tun. Dazu eine Erinnerung an die vorangegangenen Wahlen: imMai in der Steiermark: SPÖ -9%; FPÖ: +16% und im Burgenland: SPÖ: -6,5%; FPÖ: + 6%; im September in Oberösterreich: SPÖ: -6,5%; FPÖ: +15%. Laut Wahlumfragen lag die FPÖ bis zur Wien-Wahl bundesweit kontinuierlich auf dem ersten Platz, zuletzt sogar mit bis zu zehn Prozentpunkten Vorsprung. Ob das Kopf-an-Kopf rennen tatsächlich eine Inszenierung SP-naher Meinungsforschung und Medien war, um Stimmen zu mobilisieren, tut nicht viel zur Sache: Die Wahl war für die meisten von uns eine Richtungsentscheidung. Dass die SPÖ letztendlich mit einem Abstand von knapp neun Prozent deutlich vor der FPÖ zu liegen kam, war ein befreiendes Gefühl. Ein Sieg war der relative Wahlerfolg der SPÖ vor allem, weil das Selbstbewusstsein der blauen Anhänger_innen ein Stück weit eingebremst wurde: Angenehm war am Sonntagabend die sichtbare Enttäuschung jener zu beobachten, die von HC auf eine „Oktoberrevolution“ eingeschworen worden waren, die dann doch nicht eingetreten ist. Strache-Fans müssen erstmal mit dem Gefühl zurechtkommen, dass immer noch 2/3 der Wähler_innenschaft gegen sie ist.

(c) Klemens Weitenthaler via https://www.facebook.com/haeuplmemes/photos/a.537880703054842.1073741827.537880189721560/537880673054845/?type=3&theater

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2) Die Wahl war ein Statement der Solidarität mit Flüchtlingen!
Die Ankunft Zehntausender Flüchtlinge und ihr kollektives öffentliches Auftreten haben in Wien eine Bewegung ausgelöst, die die Wenigsten für möglich gehalten hatten: direkte Fluchthilfe, Betreuung, Spenden und die größten Demonstrationen seit sehr langer Zeit, für ein Ende des Sterbens an den Grenzen und der Gewalt gegen Flüchtlinge –laut einer Studie war ein Fünftel der Wiener Bevölkerung auf die eine oder andere Art in der Flüchtlingssolidarität aktiv. Während die FPÖ Grenzzäune à la Orbán forderte und gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ hetzte, stellte sich die Wiener SP, zumindest rhetorisch eindeutig auf die Seite der Flüchtlingshelfer_innen und sah vorerst von repressiven Maßnahmen ab. Ihre Kompromisslosigkeit gegenüber Strache und der rhetorische Einsatz gegen Rassismus und für Menschlichkeit wirkte sich direkt auf die Wienwahl aus: Das „Duell um Wien“ wurde zur Auseinandersetzung zwischen Solidarität und Rassismus, die auf beiden Seiten so viele Menschen wie schon lange nicht mehr mobilisierte. Die Wahlbeteiligung kletterte auf 74,75%, so hoch wie schon seit 1983 nicht mehr (Zeit der Friedensmärsche und Anti-Atom-Bewegung, sowie der Widerstände gegen die energiewirtschaftliche Nutzung der Hainburger Au in Österreich); dazwischen hatte sie immer zwischen 60-68% gelegen. Und es war nicht umsonst! Gewonnen haben die Leute des 3. Oktober.

3) Die FPÖ ist trotzdem weiterhin im Vormarsch, denn verbaler Antirassismus ist nicht genug.
Das Wahlergebnis verdeckt, dass die SPÖ dramatische Verluste ihrer Wähler_innenschaft erlitten hat. Absolut an Stimmen dazugewinnen konnte sie lediglich in den innerstädtischen und eher bürgerlichen Bezirken, wo sie u.a. Stimmen von Grünwähler_innen auf sich zog. Das korrespondiert auch mit dem stark studentisch-mittelschichtigen Charakter der Flüchtlingssolidaritätsbewegung. Häupl & Co. haben aber insgesamt fast genauso viele Stimmen an die Nichtwähler_innen verloren, wie sie unter diesen mobilisieren konnten und noch viel mehr ihrer ehemaligen Wähler_innen sind zur FPÖ übergelaufen. In mehreren ArbeiterInnenvierteln Wiens ist eine rechtsextreme politische Kraft zur meistgewählten Partei geworden oder ist kurz davor stehengeblieben; zum ersten Mal dürfen die Blauen einen Bezirksvorsteher stellen. Die FPÖ hat ihr historisch höchstes Wahlergebnis realisiert, denn sie hat genauso wie die SPÖ vom polarisierten Klima und der erhöhten Wahlbeteiligung profitiert. Wo fehlendes Einkommen, schlechte und unsichere Arbeitsplätze, steigende Wohnkosten und langes Warten bei Gemeindewohnungen und öffentlichen Einrichtungen am stärksten gespürt werden, haben die Regierungsparteien keine glaubwürdigen Antworten und dort hackt die FP ein, die all diese Themen gegen „die Ausländer“ ausspielt. Während SPÖ und Grüne nicht viel mehr zu sagen hatten, als dass es in Wien eh noch besser ausschaue als woanders, konnte die FPÖ konkurrenzlos die Stimmen der Unzufriedenen auf sich vereinigen und ihre Oppositionsrolle konsolidieren. Wenn es dabei bleibt, hat HC beste Aussichten, bei der Nationalratswahl 2018 erster zu werden und seine Partei in die Bundesregierung zu führen. Der Aufstieg der extremen Rechten ist, nebenbei bemerkt, längst kein österreichischer Sonderfall, wie die Wahlsiege des Front National in Frankreich und andere Beispiele zeigen. Straches Zugewinne hierzulande stoßen heute wohl deswegen auf weniger internationale Aufmerksamkeit als die seines Vorgängers Haider vor 20 Jahren. Bei der Wien-Wahl 1996 hatte die SPÖ ihr bis dato schlechtestes Gesamtergebnis, nur geringfügig niedriger als heute. Die FPÖ kam damals auf knapp 28%. Sie ist heute nicht weniger gefährlich als damals.

4) Die Flüchtlingshelfer_innen-Bewegung hat der SPÖ genützt und ihren Niedergang für kurze Zeit aufgeschoben.
Parteien, die das Elend des Kapitalismus verwalten, sind dazu verurteilt, die Unterstützung jener zu verlieren, die darunter zu leiden haben – sofern diese überhaupt wählen dürfen. Wien ist da keine Ausnahme. Zwar feiern SP-Bürokratie und die von ihr begünstigten Freunderln, weil sich oberflächlich doch nichts geändert hat und sie zumindest für die nächsten 5 Jahre so weitermachen können wie bisher; ihre grünen Koalitionspartner_innen gehen sogar geschwächt aus der Wahl hervor. Die SPÖ ist aber immer schlechter in der Lage, sich um „ihre“ Leute zu kümmern oder sie zumindest zuversichtlich zu stimmen. Stattdessen treibt sie Stellenabbau und Einsparungen voran, wie versuchte Nulllohnrunden im öffentlichen Dienst oder das schleichende Kaputtsparen des Gesundheitssystems. Oft genug betreibt sie selbst rassistische Politik, im Versuch ihre Kernklientel auf Kosten anderer zu bedienen oder um von den wahren Problemen (und ihrem eigenen Anteil daran) abzulenken. So bei Michael Ludwigs Restriktionen des Zugangs zu Gemeindewohnungen, der glorreichen Taferl-Aktion der SPÖ Linz gegen ein Asyl-Zentrum, oder auch der täglichen Hetze der durch SP-Inserate finanzierten Gratis-Presse. Am meisten profitiert von dem Ganzen die FPÖ, die den Rassismus am konsequentesten propagiert. Im Unterschied zu der steirischen oder oberösterreichischen Landespartei (von der burgenländischen ganz zu schweigen), die sich in der Anbiederung an die FPÖ versuchten und dafür umso härter abgestraft wurden, hatte sich in der Wiener SP aber für diesen Wahlkampf dennoch ein scharfer Anti-FP-Kurs durchgesetzt. Der Schwung der Flüchtlingssolidaritätsbewegung kam ihr dadurch zugute und der vermeintliche Sieg der „Haltung“ wird wohl für Streit um ihre weitere Ausrichtung sorgen. Auch die Grünen können keine Lösung gegen das Erstarken der FPÖ sein, sie haben schon lange darauf verzichtet, für eine Alternative zu kämpfen und sind mittlerweile nicht viel mehr, als ein Öko-PlugIn zu den beiden Alt-Parteien. In Erwartung ihrer weiteren Beteiligung an der Stadtregierung beschränkten sie sich auf eine selbstgefällige Wien-ist-leiwand-Kampagne.

5) Gerade die jüngsten Mobilisierungen in Solidarität mit Refugees haben gezeigt, wie sich etwas verändern kann: direktes aktiv werden, solidarisch, gemeinsam, für ein besseres Leben.
Plötzlich war der österreichische Staat gezwungen, seine eigene Regeln und Verfahren außer Kraft zu setzen, die FP war vorerst isoliert. Diese Erfahrung kann vertieft werden und auf andere Bereiche ausgeweitet werden: Wohnen, Bildung, Arbeit. Ein Beispiel hierfür bieten auch die Auseinandersetzungen im Gesundheitsbereich und die Mobilisierungen von Pfleger_innen. Diese und auch Beispiele anderer Länder zeigen, dass wo wir uns für gemeinsame Anliegen einsetzen, auch eine extreme Rechte an Rückhalt verliert, die auf dem Boden von Vereinzelung, Konkurrenz und des gegenseitigen Ausspielens wächst. Antirassismus muss sich mit der Erkenntnis verbinden, dass genug für alle da ist und wir es uns holen müssen. Diese Anliegen müssen von unten erkämpft werden; wir können nicht erwarten, dass Politiker_innen plötzlich die Interessen der Bevölkerung mehr vertreten wollen als die des Kapitals. Erst auf der Grundlage eines Aufschwungs sozialer Bewegungen und der Politik von unten wird es möglich sein, auch auf Wahlebene dem Duell zwischen größerem und geringerem Übel effektiv etwas entgegenzusetzen. Wenn hier Kräfte links der Sozialdemokratie eine Rolle spielen wollen, wird es für diese nötig sein, in den nächsten Jahren konsequente Basisarbeit zu leisten und sich als nützlich für Bewegungen zu erweisen. Bündnisse wie Wien Anders, die sich kurz vor der Wahl, für die Wahl zusammenfinden, werden das nicht leisten können.

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