„There is no alternative“ muss raus aus den Köpfen!

Die Situation in und um Syrien verschärft sich zunehmend und es scheint als würden reihenweise Staaten dem Kriegstaumel verfallen. Auf der anderen Seite werden die Stimmen gegen militärische Interventionen immer lauter und warnen vor einer Verschlimmerung der Lage. Doch gute Argumente gegen Krieg verlangen auch Klarheit darüber, welche Motivation hinter Kriegseinsätzen steht und welche Absichten als Entscheidungsgrundlage für Regierungen dienen. Dabei Hilflosigkeit oder das Fehlen von Alternativen als Grund für die Militäreinsätze anzugeben ist schlichtweg naiv und darf keinesfalls von der Öffentlichkeit als Legitimation akzeptiert werden.

Am 4.Dezember 2015 beschloss der deutsche Bundestag die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr in Syrien. Nach jahrelangen Diskussionen und permanenter „Ratlosigkeit“ unter den europäischen Regierungen scheint es nun überraschend schnell gegangen zu sein, zu einer Entscheidung zu kommen. Vor allem zu einer derartig schwerwiegenden Entscheidung, die unweigerlich Tod, Leid und Flucht für unzählige Menschen zur Folge haben wird. Im Syrien-Konflikt ist in den vergangen Wochen ein neues Level erreicht worden und einige Mitgliedsstaaten der EU stecken mittendrin. Nicht nur, dass der Friedensnobelpreis an jene Institution immer absurder wird, es stellt sich auch zunehmend die Frage nach der Glaubhaftigkeit einer Friedensunion, deren Länder nicht nur Waffen exportieren, sondern sie auch immer häufiger außerhalb der eigenen Grenzen einsetzen. Woher kommt diese Entschlossenheit zur militärischen Einmischung in Syrien, woher die angebliche Annahme, dass es dieses Mal besser laufen sollte als in Afghanistan, dem Irak oder Libyen?

Egal ob Politiker_innen wie Sarah Wagenknecht (dt. Bundestagsabgeordnete, Die Linke) oder Friedensforscher_innen, aus verschiedenen Richtungen werden wichtige Argumente gegen die deutsche Militärintervention in Syrien gebracht. Der Verweis auf die gescheiterten Einsätze der letzten Jahrzehnte, auf die zivilen Opfer sowie getötete Soldat_innen, die unvermeidbar sein werden, auf die verheerenden Kosten, die anfallen werden usw. Natürlich braucht es nicht nur Gegenargumente und Ablehnung zu Krieg, es braucht genauso Alternativen zu militärischen Mitteln. Doch auch hier scheint es genügend Ideen und Vorschläge zu geben, wie der IS effizient bekämpft werden kann, ohne Bomben ins Spiel zu bringen. Trotzdem ringen viele Menschen, vor allem auch politische Aktivist_innen oder Journalist_innen um Argumente, die den Kriegsbefürworter_innen den Wind aus den Segeln nehmen. Was kann zur Beendigung des Krieges getan werden und vor allem, was können wir, die wir hier in Europa leben gegen die schreckliche Situation in Syrien tun?

In aller Kürze versuche ich aufzuzählen, welche Möglichkeiten zu einer Deeskalation der Lage bzw. zur Eindämmung des IS bisher aufgezeigt wurden.

  •  Keine weiteren Waffenexporte in die Region. Ständige Waffenzufuhren verlängern den Konflikt ins Unendliche und man weiß nie in wessen Hände sie geraten.
  • Einfrieren der Konten des IS bzw. Unterbindung der Geldtransfers des IS. Idealerweise sollten Finanzierungsquellen für Kriegsführung generell trockengelegt werden.
  • Boykott aller vom IS angebotener Waren, vor allem Erdöl.
  • Grenzen für Flüchtlinge auf!
  • Syriens Nachbarstaaten (wie die Türkei) sollten den Frieden als oberstes Ziel verfolgen. Stattdessen wird der Konflikt für eigene Interessen missbraucht. Die Offensive gegen Kurd_innen muss sofort beendet werden, nicht zuletzt weil sie eine der wenigen erfolgreichen Fronten gegen den IS darstellen. Außerdem könnte weitaus besser kontrolliert und verhindert werden, dass noch mehr IS-Anhänger_innen nach Syrien einreisen.
  • Beendigung der Bombardements und Flugverbotszonen über Gebieten, die von oppositionellen Gruppen in Syrien kontrolliert werden. Bomben bringen nicht nur noch mehr Tote, sie bergen auch die Gefahr der weiteren Radikalisierung der lokalen Bevölkerung und könnten dem IS mehr nutzen als schaden.
  • Humanitäre Hilfe in und um Syrien verstärken. Lebensmittel, Wasser und medizinische Versorgung müssen gewährleistet werden, vor allem in den umliegenden Flüchtlingseinrichtungen. Es kann nicht sein, dass Menschen von Krieg ins Elend flüchten.
  • Unterstützung lokaler Bewegungen und Initiativen, die versuchen demokratische Strukturen aufzubauen. (Vor 5 Jahren wäre dies um einiges leichter und wirkungsvoller gewesen).
  • Es kann nur eine Demokratie in Syrien geben, wenn sie von den Menschen vor Ort aufgebaut werden kann. Am Ende sollten jene Kräfte erfolgreich sein, die auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben. Doch zuallererst muss gewährleistet werden, dass so eine „Mehrheit“ die Chance hat, Zustimmung auszudrücken oder Perspektiven aufzumachen.
  • Effektive diplomatische Bemühungen auf internationaler Ebene. Es wurde lange genug dabei zugesehen, wie die Herrschenden Syriens die eigene Bevölkerung bombardieren. Dies ist kein reiner Bürgerkrieg, der Staat ist Teil des Problems. Doch auch die Regierungen der anderen kriegsbeteiligten Staaten müssten mitspielen und ernsthaft nach Lösungen ohne Waffengewalt suchen. Die Möglichkeit bestünde, jedoch wird es eben genügend Gründe geben, weshalb lieber mit Assad Hände geschüttelt werden, während man zuversichtlich in die Kamera grinst anstatt schnell und konsequent eine Beruhigung der Lage herbeizuführen.

Und nun soll mir jemand versuchen weiß zu machen, dass nicht auch „Expert_innen“ aus Regierungskreisen auf solche Lösungsansätze kommen könnten. Wenn die Priorität auf dem Schutz der syrischen Bevölkerung oder dem Aufhalten des IS liegen würde, wären all diese Maßnahmen bereits umgesetzt worden. Es sollte oberstes Ziel sein, zumindest nicht direkt für weitere Kriegsopfer verantwortlich zu sein. Und zuletzt sollten Investitionen im Sozialbereich (und damit auch der Flüchtlingshilfe) getätigt werden, nicht im Bereich der Waffen- und Rüstungsindustrie. Die Frage sollte also nicht lauten: „Was ist denn die Alternative?“, sondern vielmehr: „Wie kommt ihr eigentlich auf die Idee in den Krieg zu ziehen?“!
Nun kommen wir wieder zu der anfänglichen Frage nach den Absichten hinter Kriegseinsätzen. Dabei stehe ich dafür ein, folgende kritische These immer voran zu stellen wenn es um globale Entwicklungen geht: Regierungen und Wirtschaftstreibende entscheiden nichts aus Ratlosigkeit oder Planlosigkeit. Die Handlungsmöglichkeiten der Herrschenden sind bedingt durch Kräfteverhältnisse, auf politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene. Und es sollte offensichtlich sein, dass wir uns derzeit in einer Zeit befinden, in der auf allen Ebenen Zuspitzungen stattfinden. Die Wirtschaftskrise dauert seit Jahren an, Bevölkerungen verlangen Veränderungen und nebenbei schmilzt uns das Eis an den Kappen weg. Der Kampf um Ressourcen und Land wird also immer härter, und damit werden auch die Mittel immer extremer, um in jenem Kampf zu bestehen. An diesem Punkt kommt Krieg ins Spiel. Extreme Mittel verlangen besonders starken Rückhalt, aus den Lobbys wie aus der Bevölkerung. Schließlich müssen Kriege am Ende von Individuen umgesetzt werden. Und so finden wir uns in der Situation wieder, dass nach fast 15 Jahren voller Predigen über den Kampf gegen den Terror Kriegsbeteiligungen beschlossen werden, während die Mehrheit der Menschen ohnmächtig dabei zusehen muss. Deutschlands politische Elite ist nicht planlos. Was wäre anderes zu erwarten, wenn mittlerweile nicht nur Russland und die Türkei, sondern auch die USA, Frankreich und GB im Syrien-Konflikt mitmischen? Wer bestehen will, ist gezwungen sich ein Stück vom Kuchen zu sichern.

Die Entscheidungsträger_innen versuchen Krieg als allerletztes Mittel zu verkaufen, in Momenten, wo es keine andere Alternative gibt. Wenn ich an Situationen denke, wo es keine Alternative zu Gewalt gibt, muss ich beispielsweise an Zitate von kurdischen Kämpferinnen in Rojava denken. Wenn du umzingelt bist von Menschen, die alles zerstören würden, was dir etwas bedeutet. Dann kannst du entweder fliehen oder dich mittels Gewalt zur Wehr setzen, bevor die andere Seite schneller ist. Im Gegensatz dazu erscheinen mir die 20 reichsten Staaten der Welt nicht von einem derartigen Feind eingekesselt zu sein. Wer die besten Strateg_innen, Forscher_innen und IT Expert_innen zur Verfügung hat entscheidet nicht aus Ratlosigkeit, sondern nach Kriterien, welche die eigenen Interessen am Besten durchsetzen können. Ansprüche auf Territorien, die Sicherung von Handelswegen oder die globale Wettbewerbsfähigkeit einzelner Staaten können solche Interessen darstellen.

Es wird höchste Zeit aus den Konsequenzen von militärischen Interventionen wie in Afghanistan, dem Irak oder Libyen zu lernen. Es wurden mehr Menschen getötet, mehr extremistische Gruppen gestärkt und mehr Chaos geschaffen. Dabei appelliere ich nicht nur an die institutionelle Politik (die allerdings nicht von sich aus auf Pazifismus setzen wird), sondern auch an soziale Bewegungen. Egal ob es um Krieg oder den IS geht, Solidarität ist die größte Bremse für beide Phänomene. Wir alle sollten verinnerlichen, wie notwendig es gewesen wäre, unseren Großeltern die Kriegserfahrung zu ersparen. Doch während jene Generation des zweiten Weltkrieges langsam vom Planeten verschwindet, scheinen jüngere Menschen jeglichen Bezug zu Krieg und Trauma zu verlieren. Erst wenn man einer Person aus Syrien real gegenübersteht und einen Teil deren Geschichte zu hören bekommt, erst dann wird einem klar, dass es keinen Unterschied gibt. Nicht zwischen guten und bösen, vergangenen oder andauernden Kriegen, und auch nicht zwischen uns. Die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung von Menschen verändert deren Bewusstsein und genau jenes Bewusstsein braucht es um effektiven Druck auf die beteiligten Kriegsparteien auszuüben. Ein zentrales Ziel des IS ist es anscheinend Muslim_innen und Nicht-Muslim_innen gegeneinander aufzuhetzen. Engagement gegen jene Hetze und Angstmache wäre das effektivste Mittel, das wir in unserer Position anwenden können um den Zuwachs oder das weitere Aufkommen von terroristischen Gruppen zu stoppen. Damit sind nicht nur religiös-fanatische Zusammenhänge gemeint, sondern auch neue rechte Bewegungen, die mit Enthusiasmus auf den Zug des antimuslimischen Rassismus aufspringen.

Bald werden wir auf der Straße wie im Parlament von Menschen mit rechter Gesinnung verdrängt werden, deshalb sollte darüber Einigkeit bestehen, welche Forderungen angestrebt werden. Eine zersplitterte Linke und eine nicht-existierende Antikriegsbewegung kann sich Europa im Moment eigentlich nicht leisten.

Literatur-Verweise:

Bezüglich „Hilflosigkeit“:
https://www.adoptrevolution.org/pm-bundeswehr-in-syrien/

Sarah Wagenknecht im Bundestag zum Kriegseinsatz Deutschlands:
https://www.youtube.com/watch?v=VwM6jJrbybM

Bezüglich Lösungsansätze, Friedensforscherin:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/993482.einfach-nur-hilflos.html

Zu Imperialismus im Fall Syrien:
http://marx21.de/imperialismus-ist-das-problem/

Argumente gegen den Bundeswehreinsatz:
http://marx21.de/argumente-gegen-den-bundeswehreinsatz-syrien-und-irak/

Zur Frage, wie es den in Syrien Gebliebenen geht:
https://www.adoptrevolution.org/ich-will-syrerin-bleiben/

Friedensaufruf von syrischen Initiativen aus der Zivilbevölkerung:
https://www.adoptrevolution.org/planet-syrien/

Zur Bekämpfung des IS, „Tipps“ eines franz. Journalisten, der Gefangener vom IS war:
http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/nicolas-henin-the-man-who-was-held-captive-by-isis-for-10-months-says-how-they-can-be-defeated-a6757336.html

-Magdalena Augustin

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