„Ich denke, dass wir hier wirklich Tiere sind; wir sind keine Menschen.“

Interview mit Taysir K., Flüchtling aus Syrien, jetzt in Idomeni

Vanessa war zu Ostern an der mazedonisch-griechischen Grenze in Idomeni, wo zehntausende Geflüchtete festsitzen, nachdem die österreichische Regierung die Balkanroute gesperrt hat. In einem leerstehenden Zugwaggon traf sie Taysir (45 Jahre, aus Aleppo), der dort mit seiner Frau und seinen 4-jährigen Zwillingen und anderen Unterschlupf gefunden hat. Hier ein Auszug aus einem längeren Interview.

 

Wie kommt es, dass du so gut Deutsch sprichst?

Ich war ungefähr 12 Jahre in Deutschland.  Ich habe in Dresden studiert und dann gearbeitet. Und dann wollte ich für immer zurück in meine Heimat und dort bleiben. Und jetzt – eine Ironie des Schicksals- will ich wieder nach Deutschland.

Und warum wolltest du damals zurück nach Syrien?

Meine Heimat war dort, ich wollte nicht mehr in Deutschland bleiben.
Seit 2005 bin ich in Syrien, habe neue Projekte angefangen und ein neues Leben begonnen und dann  ist wieder alles weg. 2011 ist schon wieder alles weg.

Warum bist du wieder aus Syrien weggegangen?

In Syrien haben wir seit 5 Jahren keine Ruhe gehabt. Nicht nur meine Familie, sondern 70-80% aller Familien haben in den letzten 5 Jahren keinen ruhigen Tag gehabt. In jedem Ort und jedem Gebiet gibt es etwas Schlimmes, Bomben oder Raketen. Überall. Es gibt kein sicheres Gebiet in Syrien. Es gibt eine Region am Meer, wo es in Ordnung ist, aber die Miete und das Leben dort sind sehr teuer. Dort können wir nicht einfach eine Wohnung kriegen.

War deine Familie aktiv bedroht oder warum dann die Entscheidung wegzugehen?

Ich habe mich oftmals gefragt, wie ich eigentlich nach Europa kommen soll, aber ich hatte viel Angst wegen der Reise. Die Reise war sehr sehr sehr gefährlich, besonders von der Türkei  bis nach Griechenland. Der Ort heißt Izmir, dort ist es so gefährlich. Wenn ich gewusst hätte, dass es so gefährlich ist, dann wäre ich in Syrien geblieben und es wäre mir egal gewesen was mit mir passiert. Aber ich habe entschieden nach Europa zu gehen und jetzt ist es so.

Hast du geglaubt, dass du in Europa ein besseres Leben haben kannst als in Syrien?

Ja, ich war in Europa. Ich weiß wie es in Europa ist, ich weiß es genau. Und die Grenze war offen. Es sind viele Leute in Europa angekommen und haben mich angerufen und gesagt, dass es eigentlich einfach ist. Und das war meine Chance, aber die Grenze ist zu. Leider habe ich viel Geld ausgegeben, ich habe jetzt keinen Cent mehr in der Tasche, um damit vielleicht wieder nach Syrien zurückzukommen. Ich habe von jedem Geld geborgt und habe keine Wohnung mehr. In kann in Syrien eigentlich nicht neu anfangen. Das ist so schwer, ohne Geld geht es überhaupt nicht in Syrien.

Wie war die letzte Zeit in Syrien bevor ihr gegangen seid?

Das war sehr schlimm, weil die syrische Armee Aleppo, also Nordaleppo von den anderen Gruppen übernehmen wollte. Aber ich habe gehört, dass es zur Zeit ruhig ist, dass es in Aleppo keine Bomben oder Raketen mehr gibt. So habe ich es von den Leuten gehört, Nachrichten vom Fernsehen habe ich nie gehört. Aber als wir dort waren, war es sehr sehr sehr schlimm. Wir können dort nicht so einfach leben. Wenn man jetzt in Syrien lebt und kein Geld hat, dann muss man zur Armee oder zu anderen Gruppen zum kämpfen gehen und Waffen tragen.

Sonst kann man nicht überleben?

Wie denn? Es gibt keine Arbeit, es gibt nichts. Wenn man Geld hat ist es ok, dann kann man Leben. Aber wenn man kein Geld hat, dann muss man Waffen tragen, um Essen kaufen zu können.

Wie seid ihr hier her gekommen, nach Idomeni?

Also zu Beginn bin ich das kurdische Gebiet von Aleppo und dann zur Grenze Syrien-Türkei gereist, eigentlich mit der Mafia. Das hat für jede Person 500$ gekostet. Wir waren 3 Personen, also 1500$ bis über die Grenze in die Türkei. Dann waren wir ca. 10 Tage in der Türkei, um jemanden zu finden, der uns von der Türkei nach Griechenland bringt. Das hat für jeden ungefähr 1000$ gekostet. Also mit den 10 Tagen in der Türkei hat es mich ungefähr 6000$ gekostet.

Wie lange hat die Reise ungefähr gedauert?

Also bis jetzt hat es ungefähr 2 Monate gedauert. Aber ein Freund von mir ist zum Beispiel seit zwei Monaten in Deutschland. Bei ihm hat die Reise 10 Tage gedauert, weil die Grenzen offen waren.

Wie war die Reise?

Gefährlich. Für die Kinder war es sehr gefährlich, das ist so schlimm. Besonders in Izmir, da hatten wir Chancen, aber unser Boot war kaputt. Und wir stehen am Meer und können nichts machen. Im Boot waren ungefähr 20 Kinder und 40 Erwachsene. Es war ungefähr 8 Meter lang und 2 Meter breit, unten war es aus Holz. Sie haben gedacht, dass wir eine halbe bis maximal eine Stunde bis zur griechischen Grenze brauchen, aber nach 2 Stunden waren wir noch immer im Meer.

Wie habt ihr euch auf der Reise außer dem Boot fortbewegt?

Von Syrien sind wir zu Fuß bis zur Türkei, dann sind wir von der Grenzstadt bis Izmir mit dem Bus gefahren. Das hat um die 13 Stunden gedauert. Dann sind wir 10 Tage in Izmir geblieben um jemanden zu finden, der mit uns nach Griechenland fährt.

Wie lange seid ihr schon in Idomeni?

Ungefähr einen Monat, 28 Tage.

Und wie empfindest du die Situation hier?

Ich sage es ganz ehrlich. Ich habe das Gefühl, dass wir keine Menschen sind. Wir leben wie im Tiergarten. Die Leute kommen zu uns her, schauen uns an, lachen mit uns, geben uns Futter und gehen dann nach Hause und wir bleiben hier. Ich denke, dass wir hier wirklich Tiere sind; wir sind keine Menschen.

Was fehlt dir hier am meisten?

Dass ich unter einem Dach mit meiner Familie bin; nur ein richtiges Dach. Seit 5 Jahren hatten wir keinen ruhigen Tag. Ich wünsche mir nur Ruhe unter einem Dach mit meiner Familie. Nur für meine Kinder, dass sie in den Kindergarten oder in die Schule gehen können, richtig spielen. Seit 2 Monaten haben sich meine Kinder ganz schlimm geändert, hier können wir meine Kinder nicht gut erziehen. Lieber sterbe ich in meiner Heimat als hier zu bleiben.

Wie sind eure weiteren Pläne?

Wir haben nur die Option nach Deutschland zu kommen. Wenn es nicht möglich ist, dann will ich zurück in meine Heimat und dort sterben. Wenn es so bleibt wie jetzt, ist es kein Leben. Dort habe ich das Gefühl ein Mensch zu sein, hier nicht.

Du hast gesagt, dass du nach Deutschland möchtest?

Ja, weil ich in Deutschland die Sprache kenne und dort arbeiten kann. Ich habe viele Bekannte dort, mit denen ich arbeiten kann. Ich kann auch selbstständig in  einem Lebensmittelgeschäft arbeiten oder Obst und Gemüse verkaufen. In Deutschland habe ich wirklich viele Möglichkeiten etwas zu machen. Was soll ich in einem anderen Land, zum Beispiel Frankreich denn machen? Ich kann die Sprache nicht. Ich brauche dann ein Jahr um die Sprache und die Lebensweise zu lernen. Aber Dresden kenne ich zum Beispiel besser als Aleppo. Ich kenne die Straßen und Gebiete genau.

Was erwartest du dir von Deutschland?

Vielleicht behandeln sie uns wie Menschen. Wenn es ist wie in Griechenland, dann möchte ich nicht dorthin, aber ich denke in Deutschland ist es besser. Vielleicht ist es in den ersten 5-6 Monaten ein bisschen schwer, aber dann wird es bestimmt besser.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Dass meine Kinder in Deutschland aufwachsen und lernen. In Deutschland hat man wirklich ein gutes Leben. Ich habe 12 Jahre in Deutschland gelebt und es war sehr gut, aber ich wollte auch in meine Heimat zurück. Meine ganze Familie ist für mich wunderschön, aber jetzt geht nichts mehr. Seit 5 Jahren habe ich meinen Bruder nicht gesehen. Er lebt in Syrien und ich habe ihn nicht gesehen. Und die andere Schwester auch nicht. Wir sehen uns überhaupt nicht. Jeder ist in einem anderen Dorf oder einer anderen Stadt.

Warum seht ihr euch nicht?

Wir können nicht einfach durch die Städte fahren, es ist zu gefährlich. Ich war in einem Dorf und die islamischen Leute haben das ganze Dorf eingekesselt. Das Dorf heißt Nubl, du kannst es nachlesen. Ich bin von dort. Ich war 3 Jahre dort drin, wir konnten nichts machen. Jeden Tag haben sie Raketen auf egal welches Haus geschossen, jeden Tag. Das ist kurdisches Gebiet. Ich wollte nach Damaskus, wie konnte ich nach Damaskus? Mit dem Bus durch das kurdische Gebiet in die Türkei , an der Grenze entlang in eine andere türkische Stadt, um nach Qamischli, eine andere syrische Stadt zu gelangen. Von Qamischli aus mit dem Flugzeug nach Damaskus. Die Reise hat mich 100000 Lira gekostet, das sind 200€. Aber bei uns sind 100000 Lira so viel Geld. Diese Reise habe ich nur gemacht, damit ich den Reisepass machen kann.

Wann hast du in Aleppo gewohnt, wann in Nubl?

Ich habe mein ganzes Leben in Aleppo gelebt. Aber mehr kann ich dir wirklich nicht sagen, das ist gefährlich. Wenn ich in Deutschland bin, sag ich dir alles, jeden Ort.

Was weißt du über die aktuelle Situation in Europa?

Wir hören viele Gerüchte. Dass nur die Syrer nach Europa können, oder nur die Iraker. Oder dass die Afghanen zurück in die Türkei müssen. Oder dass Deutschland nur die Familien aufnimmt. Wir haben viele Gerüchte gehört. Ich denke, dass Europa uns verteilen will. Die Leute werden kommen, wir müssen uns anmelden und werden dann in die verschiedenen Länder verteilt. Aber die Grenze denke ich, machen sie nicht auf.

Wie ist die aktuelle Situation in Syrien?

Ich höre von den Leuten keine aktuellen Informationen. Ich habe eigentlich kein Telefon.

Unter welchen Umständen kann sich die Situation in Syrien verbessern?

(Lacht). Alle müssen weg aus Syrien, so geht es nicht mehr. Wenn Saudi-Arabien und die Türkei so bleiben, dann bleibt Syrien so. Es geht nicht anders. Warum wollen Frankreich, USA und all diese Länder, dass es keine Wahlen gibt? Weil sie sich sicher sind, dass Bashar-al Assad wieder gewählt werden würde, er liegt bei  70% und das ist wahr. Ich mag Bashar nicht, ich hasse ihn. Ich mag ihn nicht als Politiker, aber er ist besser als die anderen.

Wer sind die anderen?

Die gibt’s nicht. Niemand weiß es. Wenn Assad weg ist, weiß niemand wer kommt. Von 2002 bis 2008 hat Assad viele gute Dinge getan, aber es gibt Leute, die es nicht wollten. Die wollten Geld. Als Person ist er gut, er hat viel für Syrien gemacht und wollte das Land wirklich entwickeln. Aber 2005 zum Beispiel gab es viele Probleme, weil er im Libanon war. Es gab große Probleme zwischen Syrien und den USA. 2006 gab es Krieg zwischen der Hisbollah und Israel.  Assad hatte also keine Zeit, damit sich Syrien entwickeln kann, weil es immer viele Probleme gab. 2008 dann der Krieg zwischen Palästina und Israel, bei uns gibt es immer Krieg. Alle 2-3 Jahre kommt Krieg. Demokratie geht bei uns nicht.

Warum?

Es gibt viele Leute bei uns, die nicht lesen und schreiben können. Die glauben jedem. Zum Beispiel gab es in meinem Gebiet einen schlechten Mann, der ins Parlamente wollte. Aber ich musste ihn wählen, weil er aus unserem Gebiet, unserer Region kommt. Und so ist das in Syrien. Es gibt sehr viele verschiedene Gruppen. Ich denke Demokratie gibt es überhaupt nicht. Denkst du, dass es in Europa Demokratie gibt? Dort gibt es auch jeweils nur zwei Parteien zwischen denen man wählen kann.

 Unter welchen Umständen würdest du nach Syrien zurückgehen?

Sobald der Krieg vorüber ist, gehe ich sofort zurück nach Syrien. Viele Leute sind jetzt weg, es gibt keine Schulen mehr. Die Kinder sind auf der Straße oder gehen zum Militär. Es gibt 12 Jahre alte Kinder, die Waffen tragen, 12 Jahre alt! Es gibt viele Leute auf der Straße. Und viele Familien verkaufen ihre Töchter oder Frauen, damit sie Geld haben. In Aleppo zum Beispiel ist es jetzt sehr schlimm. Wie ich schon gesagt habe, gibt es nur Gebiete am Meer, wo es geht. In Damaskus gibt es nur Stadt, dort geht es. Drum herum ist alles zerstört. Trotzdem ist es besser nach Syrien zurückzugehen als dieses Leben hier. Wenn es so bleibt, dann gehe ich lieber nach Syrien. Dort kann ich wenigstens ein Mensch sein, aber hier bin ich wirklich ein Tier. Wie gesagt, die Leute kommen her, spielen mit  unseren Kindern, geben uns Futter, fotografieren uns und gehen nach Hause. Und wir bleiben hier und müssen zu viert im Zelt schlafen. Im Tiergarten gibt es wenigstens Fleisch und man kann sich waschen, aber hier gibt es nichts! Manchmal schlage ich meine Kinder, weil ich es hier kaum aushalte. Ich kann nichts machen. Ich habe kein Geld und es gibt keine Möglichkeit, dass sie uns zurück nach Syrien schicken und hier bleiben habe ich satt. Noch einen Monat, dann bin ich kaputt.

Möchtest du noch abschließende Worte sagen?

Also, wir möchten nicht nach Deutschland gehen, um ein ruhiges Leben zu haben oder Geld. Nein, wir möchten es wegen unseren Kindern. In unserer Heimat haben sie jetzt keine Zukunft. Vielleicht finden sie in Deutschland, Frankreich oder irgendwo irgendwann eine gute Zukunft.

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