“Es geht um die Zukunft des politischen Protests in Österreich.“

freejosef

Wir haben Irma, die Schwester von Josef, getroffen und mit ihr über den Prozess gegen Josef, der seit den Protesten gegen den Akademikerball im Jänner 2014 in Untersuchungshaft sitzt, gesprochen. Ihm wird quasi alles “vorgeworfen, was in Wien passiert ist”: Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung, versuchte schwere Körperverletzung, Landfriedensbruch und Rädels- führerschaft. Das Interview haben für IA Michael und Jakob geführt.

Hallo Irma. Schön, dass du dir für uns Zeit genommen hast. Sag, wie geht es Josef? Wie sind die Haftbedingungen?

Josef erträgt alles mit viel Fassung, er ist optimistisch und versucht dem Gefängnisaufenthalt etwas Positives abzugewinnen. In den ersten vier Wochen war er in einer Viermann-Zelle, dann war er zwei Monate in einer Einzelzelle, was er auch wollte, weil er Nichtraucher ist und die anderen drei geraucht haben. In dieser Zeit haben sie ihm dann auch Bücher zugesprochen, so hat er viel lesen können. Mittlerweile hat er einen rumänischen Zellengenossen bekommen. Josef bringt ihm Deutsch bei, und er ihm Rumänisch; ansonsten sprechen sie Englisch. Ich will aber den Gefängnisaufenthalt nicht beschönigen. 23 Stunden verbringt er in der Zelle, er kann zweimal die Woche besucht werden – nur von den nächsten Angehören. Das heißt, unsere Eltern sind jede Woche in Wien. Man kann ihm aber auch Briefe schreiben, diese werden aber gelesen und ihm erst verspätet zugestellt. Josef besucht den Gottesdienst und ist auch Ministrant geworden um dem Gefängnisalltag etwas zu entkommen. Der Pfarrer kümmert sich um ihn und Josef genießt es sehr mit dem Pfarrer etwas intellektuellere Gespräche führen zu können. Vor zwei Wochen hat das erste Tischgespräch stattgefunden, da konnten wir ihn das erste Mal umarmen. Zuvor war immer eine Glasscheibe zwischen uns und wir konnten nur per Telefonen miteinander sprechen. Besuche müssen immer vom Richter genehmigt werden, die Leute werden untersucht und analysiert.

Du kennst ja Josef schon ein wenig länger, was für ein Mensch, würdest du sagen, ist Josef? Hat er Hobbies? Welche? Was macht er so?

Josef ist ein sehr ruhiger, zurückhaltender Mensch. Er wird eigentlich von allen Menschen gemocht und kommt gut mit allen aus. Natürlich ist er schon ein Idealist, seine politische Arbeit ist ihm sehr wichtig; es versteht sich aber auch mit anders denkenden Menschen. Er ist gefestigt in seinen Positionen und aktiv gewesen bei Demonstrationen (Anti-Castor,…) Josef ist auch über den Fußball in die politische Szene gekommen, weil die Fußball-Fans in Jena ziemlich links sind. Er selbst spielt in einem Basketball-Team. Nachdem er ja also auch Sportler ist, weiß er, dass man nicht austicken darf. Er ist 1,95 m groß, trinkt nicht, raucht nicht und ist Vegetarier. Er ist nicht so der Partymensch. Eine Geschichte vielleicht: Er wurde einmal zusammengeschlagen als er am Weg nach Hause war, von zwei betrunkenen Jugendlichen aus dem rechten Spektrum, die ihn überfallen wollten. Er hat sich nicht gewehrt, weil das gegen seinen Gewaltfreiheitskonsens geht. Ja so ist Josef drauf, fast schon wieder etwas liebenswürdig naiv.

Ja, er ist 23 Jahre, studiert Materialwissenschaft, er hätte jetzt seine Bachelorarbeit geschrieben. Was sich durch den Gefängnisaufenhalt natürlich extrem verzögert. Aber auch Professoren stehen hinter ihm und haben den offenen Brief (an den österreichischen Justizminister auch unterschrieben, Anm.) sofort unterschrieben, weil sie sich nicht vorstellen können, dass er so was macht.

Wie sehen eure Eltern die Sache?

Seine Eltern stehen natürlich hinter Josef. Sie machen sich aber auch Sorgen, weil sie auch nicht abschätzen können, was die Anschuldigungen und die Untersuchungshaft für Konsequenzen hat und eventuell auch psychische Schäden verursachen kann. Er könnte ja bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen, für Dinge die er nicht getan hat.

Josef wird vorgeworfen, er sei der Rädelsführer bei den Sachbeschädigungen im Jänner rund um die Demonstrationen gegen den Akademikerball gewesen. Nun sitzt Josef seit vier Monaten in Untersuchungshaft, die Justiz meint es bestehe die Gefahr, dass er erneut straffällig werden würde. Kannst du etwas zu den Vorwürfen sagen? Warum geht die Polizei davon aus, dass er quasi alles getan hat, was am 24.1. passiert ist?

Er ist, wie gesagt, sehr groß und dadurch leicht wiederzuerkennen. Er hatte zufällig auf der Demonstration einen schwarzen Pulli an mit einer weißen Aufschrift am Rücken und daher meint die Polizei, er müsse damit der Rädelsführer sein, weil er damit gut erkennbar war. Ein Zivilpolizist hat die Gruppe aus Deutschland von Anfang an, als sie aus dem Bus ausgestiegen sind, beobachtet, wahrscheinlich weil sie ihm schon früh wegen dem deutschen Akzent aufgefallen sind. Der Polizist gibt an, dass Josef recht stark gestikuliert hat und man dadurch erkennen kann, dass er der Rädelsführer sei. So ungefähr sind die Argumentationen.

Ein Polizist gibt an, er habe Josef beobachtet und gehört, wie er Demo-TeilnehmerInnen zu Gewalttaten auffordert und antreibt. Ein Stimmgutachten sagt nun, dass es nicht die Stimme von Josef ist.  Kannst du uns dazu mehr sagen? Konkret wird ihm vorgeworfen, dass er die Polizeiwache und ein Polizeiauto kaputt gemacht hätte.

Der Polizist sagt Josefs Stimme aufgenommen zu haben als er genau neben ihm stand und ein Stimmgutachten zu diesem ist nun negativ ausgefallen – da weiß man ja schon wie viel man der restlichen Aussage glauben kann. Es wird ihm auch vorgeworfen einen Mistkübel geworfen zu haben. Da gibt es ja dieses Video von ORF, wo man sieht, dass er den Mistkübel aufhebt und nicht rollt, wie der Polizist in seiner Aussage zunächst behauptet hatte. Das Video wird als Indiz herangezogen, weil man ihn ja mit dem Mistkübel in der Hand sieht, kann man ja auch sagen, dass er daran beteiligt war. Es gibt also Unstimmigkeiten.

Ordnungsliebend?

(lacht) Nein, eher verpeilt. Wenn mein Bruder der Rädelsführer einer radikalen Gruppe wäre, würden sie zu allen Demos zu spät kommen oder zum falschen Ort fahren. Für mich sind die Vorwürfe absolut absurd. Das ganze Videomaterial (200 Stunden, Anm.) wurde noch nicht von der Staatsanwaltschaft ausgewertet; aber auf dem bisherigen kann man Josef eindeutig erkennen. In den Videos, wo man sieht wie diese Polizeiwache zerstört wird, sieht man niemanden mit diesem Pullover. Jetzt stellt sich die Frage: Wenn es Videomaterial gibt und er eindeutig erkennbar ist, warum wird es nicht herangezogen? Die meisten Vorwürfe stützen sich auf die Aussage eines Polizisten. Es wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht versucht diese Aussage durch weitere Zeugen zu bestätigen. Die Verteidigung hat Einspruch erhoben, wegen formaler und inhaltlicher Mängel. Dies wurde aber abgelehnt. Der Verteidigung wurde nun endlich erst das ganze Videomaterial zur Verfügung gestellt, um Gegenbeweise für seine Unschuld zu finden. Das ist gegen den Ansatz des Rechtsstaatssystems. Die Unschuldsvermutung wird hier völlig umgedreht.

Nach dem negativen Stimmgutachten hat die Verteidigung einen Antrag zur Enthaftung gestellt. Vor zwei Wochen wurde dieser abgelehnt. Was war die Begründung? Warum sitzt er noch in U-Haft?

Die U-haft wird mit Tatbegehungsgefahr begründet. D.h. dass er in Haft gehalten wird, weil anzunehmen ist, dass er auf freiem Fuß die Tat wieder begehen würde. Das ist der Vorwand, warum man ihm seit vier Monate in Haft hält. Weiter wurde hinzugefügt, dass zu erwarten ist, dass Josef eine langjährige Haftstrafe bekommt und man deshalb von einer Enthaftung, aus der U-Haft, absieht. Das ist auch nur österreichisches Recht; das gibt es in Deutschland nicht. Man kann ja niemanden präventiv einsperren.

Vieles gelangt nicht an die Öffentlichkeit. Wie bewertest du das Vorgehen der Polizei und der Justiz in Wien? Warum passiert das Ganze?

Man hat einen Schuldigen gesucht, den man verantwortlich machen kann. Man will keine Proteste haben und man möchte – gerade linke Proteste – diffamieren. Und das geht am besten, indem man die Proteste in die Ecke von  Gewalttätern schiebt. Angst zu schüren, auf eine Demo zu gehen ist ein Grund. Es ist ja völlig willkürlich, es könnte jeden treffen. Josef ist kein Einzelfall, sondern es geht um die Zukunft des politischen Protests in Österreich. Josef soll nur der Präzedenzfall sein, es soll ein Exempel statuiert werden. Genau so sehe ich das. Es geht aber auch um die Ausschaltung der politischen Gegner. Ich kann hier für meinen Bruder kämpfen, aber am Ende müssen die Leute hier in Österreich was ändern. Was mir aufgefallen ist: Die Leute hier müssen besser zusammenarbeiten. Die politische Linke ist sehr zersplittert und verängstigt hier, und dadurch kann man sie auch viel leichter klein kriegen. Nur zusammen ist man stark, da muss man auch inhaltliche Differenzen überwinden; man will ja schlussendlich doch das Gleiche.

Aus Jena erhält Josef viel Unterstützung, unter anderem auch von Oberbürgermeister Albrecht Schröter. Wie ist die Stimmung, was passiert in Jena, würdest du uns mehr erzählen?

Es gibt eine Soli-Gruppe in Jena, die über die Rote Hilfe organisiert wurde. Eine Gruppe, die sich für politische Gefangene einsetzt. Über die hat sich viel verbreitet, so dass viele Menschen viele Briefe geschrieben haben, was Josef viel Rückhalt gegeben hat. Hier ein Danke dafür! Die Rote Hilfe hat auch den Anwalt organisiert. Ansonsten gibt es deutschlandweit und weltweit Soli-Briefe von linken Gruppen. Von der bürgerlichen Seite gibt es das Aktionsnetzwerk, Politiker, Professoren,… setzten sich für ihn ein. Josef hat auch eine Anwältin aus Jena, die vertraut ist mit politischen Prozessen, und schon einige Linke verteidigt hat.

Der Weg von Jena nach Wien ist ja doch recht weit. Was hat Josef motiviert auch so weit entfernt gegen Rechts zu demonstrieren?

In Jena gibt es große breite Initiativen gegen Rechtsextremismus, da es auch viele Burschenschaften gibt. Die NSU-Mörder (9 Morde der Organisation Nationalsozialistischer Untergrund zwischen 2000 und 2006, Anm. der Redaktion) kommen auch aus Jena. So gibt es viele Bündnisse – auch bürgerliche. Es gibt eben dieses Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus (www.aktionsnetzwerk.de), da war Josef auch lange Zeit aktiv. Antifaschismus ist dort normal und nicht suspekt. Die Linkspartei, bis hoch zu Gregor Gysi, hat sich zum Beispiel für Josef ausgesprochen, Grünpolitiker und der Oberbürgermeister Schröter von Jena (SPD), welcher stark gegen Rechtsextremismus aktiv ist, haben sich für Josef eingesetzt. Alle sind entsetzt. Antifaschismus ist in Jena ein Stück weit normal. Klar unterstützt man dann auch mal antifaschistische Proteste in Wien oder sonst wo.

Auch in Wien hat sich eine Soli-Gruppe gebildet, beispielsweise hat die Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, Eva Blimlinger, die Freilassung von Josef gefordert. Werden solche Stimmen gehört? Was kann die Zivilgesellschaft tun? Wie können wir helfen?

Ich kann leider nicht beurteilen, wie die Stimmen hier in Wien gehört werden, weil ich nicht so oft da bin. Ich selbst hab den Brief (an den österreichischen Justizminister) in Deutschland weit verbreitet, bisher sind es ca. 500 Unterschriften. Wichtig ist es aufmerksam zu machen, wach zu rütteln, sich offen zu Josef zu bekennen. Es braucht eine Zivilgesellschaft, die hinguckt und sich nicht alles gefallen lässt. Wenn eine breite Öffentlichkeit hinguckt, dann denk ich, können wir was erreichen. Man muss nicht ein großer Fan von den Protesten sein, aber man muss begreifen, dass hier der Rechtstaat echt in Gefahr ist. Ich sage immer, das Linkeste was es hier gibt sind die Grünen! Aber die sind voll konservativ. Da weiß man auch wo Österreich steht. Es reicht halt nicht, still zu sein. Man muss sehr viel Geduld mitbringen, man muss viel mit den Leuten reden und ihnen erzählen was da wirklich abgeht.

Es ist toll wie du dich für deinen Bruder einsetzt!

Eigentlich ist er immer der, der sich einsetzt. Ich hab meinen kleinen Bruder auch wirklich gerne. Wir sind politisch einer Meinung. Meine Eltern sagen immer: „Wir haben DDR-Erfahrung, da saßen wir nie im Knast, und jetzt sitzt unser Sohn im Knast, weil er auf eine Demonstration gegangen ist.“ Die ganze Familie ist dadurch politisiert worden. Das Ganze ist schon ziemlich krass. In Deutschland hingegen wird Josef für einen Preis für sein soziales Engagement gegen Rechtsextremismus vorgeschlagen. Hier sitzt er in Haft und in Deutschland kriegt er vielleicht einen Preis.

Am 6. Juni findet im Landesgericht Wien die nächste Verhandlung statt. Was erwartest du dir davon? Wird Josef frei kommen?

Ich plane das nicht. Ab neun Uhr gibt es eine Kundgebung vor dem Landesgericht, auch eine Sambagruppe kommt, vielleicht machen wir eine Spielstraße für Kinder… Leute aus dem Gericht werden raus twittern. Man bleibt so auf dem neuesten Stand. Am Ende gibt es eine Zusammenfassung, weil an diesem Tag vor allem die weiteren Prozesstage festgelegt werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Josef am 6.Juni frei kommt. Es ist schwer, Leute zu gewinnen, die eine Aussage machen und ihn entlasten können, weil sie selbst Angst haben sofort mitbeschuldigt zu werden. Ich denke, der Prozess  wird eher in die Länge gezogen werden, damit die Öffentlichkeit wegbricht.

Glaubst du, wird Josef trotz der Repression weiter politisch aktiv sein? Wie, schätzt du, wird es mit ihm weiter gehen?

Ja, ich denke auf jeden Fall, das steht außer Frage. Er lässt sich davon nicht abschrecken oder einschüchtern. Im Gegenteil, er hat viel Rückhalt und Solidarität erhalten. In Jena wird er eher bewundert für seinen Einsatz. Er hat gewusst, dass er ein Risiko eingeht, aber ich denke nicht, dass er sich dadurch von seinen Idealen abbringen lässt. Ich würde ihm ja Ruhe gönne wenn er wieder raus kommt, aber er wird sicher nicht aufhören aktiv zu werden. Ich denke, er macht da weiter. Keine Frage. Wir werden weiter machen! Wir werden weiter machen müssen!

 

Spende Geld für die Prozesskosten:
Rote Hilfe Ortsgruppe Jena
Kto-Nr.: 4007 2383 09 IBAN: DE77 4306
0967 4007 2383 09
BLZ: 430 609 67 (GLS-Bank)
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: Wien

Weitere Informationen:
http://freiheit-fuer-josef.familientagebuch.de/
http://soli2401.blogsport.eu/

Offener Brief an den Bundesminister für Justiz inkl. Möglichkeit zu unterschreiben:
http://akgrundrechte.wordpress.com/offener-brief/

This entry was posted in Interview and tagged , , , . Bookmark the permalink.